Totnes, eine Stadt im Wandel, bekommt von der Krise den Anstoss, sich neu zu erfinden

Totnes, eine Stadt im Wandel, bekommt von der Krise den Anstoss, sich neu zu erfinden

2007 entdeckten die Medien aus aller Welt auf welche Weise eine kleine Gruppe von engagierten Ökos in Totnes auf Lokalität setzte, um sich dem Peak Oil und dem Klimawechsel zu stellen. Und wie sieht die Initiative sechs Jahre und eine Wirtschaftskrise später aus? Reportage.

 

Von früh bis spät zirkulieren ununterbrochen Autos auf der Kreuzung direkt vor der Brücke am unteren Ende der Hauptstrasse. Das hätte man von Totnes nicht erwartet: 2006 hat diese englische Stadt mit 8500 Einwohnern unter der Leitung von Rob Hopkins (siehe uner Video (fr)) den Kurs des Wandels eingeschlagen, um sich auf die Zeit nach dem Erdöl vorzubereiten. Die Medien aus aller Welt wurden auf eine Serie von Aktionen aufmerksam: Obstbaumpflanzung, Einführung einer lokalen Währung, das Totnes Pound, Projekte mit erneuerbaren Energien, Erstellung eines Netzwerkes lokaler Bauern und Unternehmen etc.

 

Totnes, eine alternative Stadt

Auch wenn es paradox scheint, ist der Verkehr, der Totnes Strassen verstaut zumindest teilweise für die Wende dieser Stadt verantwortlich. Aufgrund eines alten Gesetzes befindet sich dort die letzte Brücke über den Fluss Dart vor seiner Mündung. So muss also jeder, der den Fluss in dieser Gegend von Süddevon überqueren will, durch Totne fahren. Dank dieser Besonderheit konnte die Stadt Totnes grosse Geschäftstätigkeiten entwickeln: An der Hauptstrasse, welche die Brücke mit dem Schloss verbindet, befinden sich Metzger, Bäcker, Gemüse- und Obsthändler, Cafés, Restaurants und auch einige Touristenläden – schliesslich befindet sich Totne in der Nähe der englischen Riviera. Was die Auswahl von Bioläden und New Age Boutiques angeht, muss es in dieser Stadt wohl seit langem Initiativen geben, die sich für die Entwicklung einer alternativen Lebensweise einsetzen. Unter ihnen die Laborschule in Dartington, die in den 1920gern von einer reichen Amerikanerin in einem Nachbarsort gegründet wurde, weiter das Schumacher College (auch dieses in Dartington), in welchem seit 1990 alle möglichen Seminare über Ökologie durchgeführt werden. Diese Strukturen haben eine beträchtliche Anzahl an wohlhabenden Hippies nach Totnes gelockt, die sich unter die eher konservative, ländliche Bevölkerung mischen.

Als sich 2006 Rob Hopkins, Permakulturausbildner und Initiant eines ersten Versuches einer Transition Town in Kinsale (Irland), in Totnes niederlässt, sind nun alle Voraussetzungen erfüllt, um die Initiative Transition Town Totnes (TTT) umzusetzen. Das Konzept zu einer kompletten Transformation im ökologischen Sinne basiert auf einem einfachen Postulat: Der Oil Peak und der Klimawandel bringen unserer Gesellschaft tiefgreifende Veränderungen, auf welche sie im Moment noch unvorbereitet ist. Um diesen doppelten Schock zu dämpfen, muss sie widerstandsfähig sein und Lösungen auf lokaler Ebene entwickeln, im Speziellen im Bereich der Landwirtschaft, der Energie und der monetären Mittel.

Um Totnes Bewohner zu überzeugen, diesen Wandel in Angriff zu nehmen, organisieren Hopkins und sein Freund Naresch Giangrande während mehrerer Monaten Veranstaltungen und Projektionen von The End of Suburbia, ein Film zum Download über den Peak Oil. Die Neugier wächst, es bildet sich eine kleine Gruppe um das Projekt herum bis ein Netzwerk von mehreren hundert Personen entsteht. Die Transitionsbewegung ist entstanden.

 

Carte de Totnes, dans le Devon

 

Die Transition, ein weltweites Netzwerk

Um einen zentralen, als Verein organisierten Kern herum, vereinigt TTT eine Vielzahl von autonomen Gruppen, die sich unterschiedlichen Thematiken und Projekten widmen –von der Entwicklung erneuerbarer Energien über Homöopathie und Yoga bis zur Beziehung mit der Stadtverwaltung. Die Botschaft der „Transitioners“ soll im Gegensatz zu der zerknirschten Schwarzmalerei gewisser grünen Aktivisten positiv sein. „Wenn Sie das lesen, was die Wissenschaftler über den Klimawandel schreiben und dabei nicht dem Pessimismus verfallen, dann haben Sie nicht aufmerksam gelesen, erklärt Rob Hopkins. „Aber wenn Sie sich gemeinsam mit anderen Leuten, die sich überall auf der Welt um Lösungen bemühen, engagieren und Sie dadurch nicht optimistisch gestimmt werden, haben Sie kein Herz. Es gibt keine Erfolgsgarantie; wenn aber eine Möglichkeit besteht, dass wir etwas ändern können, wird dies bestimmt nicht geschehen, wenn wir traurig und unglücklich sind. Im Gegenteil, wir müssen das praktizieren, was wir „engagierten Optimismus“ nennen.“

Angetan von dieser neuartigen Initiative im Speziellen im Bezug auf die Grösse (eine Stadt, nicht ein kleines Dörfchen!), geht es nicht lange, bis die Journalisten in dieser kleinen Stadt eintrudeln, um über die ersten (symbolischen) Aktionen der TTT zu berichten. Die Transitionsbewegung überschreitet die Landesgrenzen, zuerst entsteht ein europäisches, dann ein weltweites Netzwerk. Auf diesen Erfolg sind die Transitioners nicht vorbereitet: „Die Aufmerksamkeit der Medien gingen der Projektrealisierung voraus, erklärt Hal Gillmore, Einwohner von Totnes und Organisator der „ Transition Tours. Es kam uns gar nicht in den Sinn, ein weltweites Netzwerk zu schaffen. Als sich dies ergab, haben sich viele Leute unwohl gefühlt und der Druck auf ein Projekt in seinem sehr frühen Stadium war gross.“

Die Begeisterung der Medien ist erst recht peinlich, da das Image der TTT nicht nur schillernd ist: Die Befürworter der TTT gelten in der Stadt selber im besten Fall als „hippies with money“, sonst aber auch als inkonsistente Träumer, oft als beides gleichzeitig. Auch heute sagt Philippe, ein französischer Koch, der seit rund zwanzig Jahren in dieser Stadt wohnt: „Eigentlich ist Transition allen komplett egal“.

 

2009 – Strategieänderung und Kurs auf Wirtschaft

Hintergrund dieser Wende von 2009 : „ Von diesem Jahr an haben wir einen strategischen Ansatz entwickelt, um das Image der TTT zu verändern“, erklärt Hal Gillmore. „Viele Projekte, die in den ersten Jahren entstanden sind, gibt es nun nicht mehr. Die Quantität ist zu Gunsten der Qualität gewichen.“

Die neue Strategie besteht darin, nun nicht mehr im Zeichen des Ökoaktivismus, sondern des Unternehmertums zu agieren. Die Wirtschaftskrise zeigt auch in diese Richtung: 2009 steht der Klimawandel wirklich nicht mehr auf der ersten Prioritätsstufe; die Notwendigkeit, Arbeitsplätze zu erhalten, rückt in den Vordergrund. In Totnes gibt das zuerst einmal Anlass zum Re-economy project – ein breites Programm der Wiederlokalisierung der wirtschaftlichen Aktivität, die auch „lokale Permakultur“ genannt wird. Dieses wird in 5 Bereichen umgesetzt: Finanzsystem, lokale Geschäfte, Gründung neuer Firmen, Bildung im Zusammenhang mit Wirtschaft und der Strategie. In diesem Rahmen führen die „Transitioners“ die Inventur der lokalen Geschäfte und Unternehmen im Bereich Energie, Gesundheit und Ernährung durch. Diese Zustandsaufnahme führt insbesondere zum Projekt „food link“, das 248 Produzenten mit 147 Detailhändlern zusammenbringt. Vor allem ermöglicht es auch, alle Parteien des Re-economy project zu identifizieren und miteinzubeziehen: Stadtverwaltung (beratende Stelle), Schulen, aber auch die Handelskammer. Im März 2012 findet in Totnes das „Forum für lokale Unternehmer“ statt. Das Ziel besteht darin, Investoren und Projektträger zusammenzubringen. Im gleichen Sinne setzt sich Rob Hopkins für ein Gründerzentrum in der Nähe des Bahnhofes ein: ATMOS.

 

Unterwegs zur Unterstützung von Seiten der lokalen und nationalen Behörden

Da sich die Anliegen der Behörden und diejenigen der Bewohner überschneiden, lohnt sich die Strategie in verschiedener Hinsicht. In erster Linie gewinnt sie Bewohner für TTT, die sich bisher aus der Initiative herausgehalten hatten. Unter ihnen gibt es viele Neuankömmlinge in Totnes; sie erneuern den ehemaligen Hippie-Kontingent und verleihen der Transition neuen Wind.

TTT, die sich mit ihrem Vorgehen glaubwürdig gemacht hat, erhöht auch die Partnerschaften mit Gebietskörperschaften und nationalen Behörden. So wird erreicht, dass die Regierung das von dem Verein lancierte, partizipative Projekt „Transition Street“, bei welchem es um die energetische Sanierung von Gebäuden geht, mit 635 000 Britische Pounds (rund 900 000 Schweizer Franken) unterstützt. Die Umverteilung dieses Geldsegens hat es 20% der Bewohnern ermöglicht, ihr Heiz- und Warmwassersystem zu verbessern. Johanne, eine Psychologin, die sich mit ihren Nachbarn an dieser Aktion beteiligte, kommt nicht aus dem Schwärmen heraus: „Dank Transition Streets spare ich jährlich 570 Pounds, da ich eine Holzheizung und eine Fotovoltaikanlage installieren konnte“, erzählt sie begeistert. „Aber vor allem bot das die Gelegenheit, sich an den alle zwei Wochen stattfindenden Sitzungen mit den Nachbarn zu treffen, um darüber nachzudenken, wie wir unseren Energiekonsum senken könnten. Das hat viele Beziehungen geschaffen: Wir sind zwar nicht gleicher Meinung, wir sind alle sehr unterschiedlich, aber von jetzt an sind wir alle Teil derselben Gemeinschaft!“

Der grösste Erfolg von TTT der letzten Jahr ist für Rob Hopkins die Weise, wie die Stadt inzwischen die Initiative aufnimmt: „Die Transition hat angefangen, das Selbstbild der Stadt zu verändern“, beobachtet er. „Wenn sie in die Zukunft blickt, fragt sie sich immer mehr: „Wie müssen wir uns als Transition Town verhalten?“ Ganz deutlich zeigt sich diese Identifikation darin, dass sich der Stadtrat 2010 als „Transitionsrat“ erklärt hat.